Vogelportrait


Der Rotrückenwürger Lanius collurio

Dem naturkundlich interessierten Urlaubsreisenden, der sich im mitteleuropäischen Winter in Südafrika aufhält, wird es nicht entgehen, hin und wieder gefiederte Bekannte aus dem Vogelreich der Heimat zu treffen. Der Rotrückenwürger ist einer davon. Aufmerksam, von seinem Beobachtungssitz aus spähend, und gelegentlich mit dem Schwanz hin und her wippend, wartet er auf Beute. Ob in den buschreichen Savannengebieten der südlichen Erdhalbkugel oder z.B. an den Trockenrasenhängen der Schwäbischen Alb, die gleichen Vögel verhalten sich auf so unterschiedlichen Kontinenten in der gleichen Weise.

Zweimal im Jahr macht der Neuntöter, wie er sonst auch noch heißt, die ca 10.000 km lange Reise auf die andere Hälfte der Erdhalbkugel. Natürlich nimmt er sich Zeit dazu und ist über Monate unterwegs. Für einen kaum 40 g schweren Vogel ist es trotzdem eine Riesenleistung.

Bei uns treffen die Vögel als eine der letzten Sommergäste aus dem Süden erst gegen Anfang bis Mitte Mai ein. Im Laufe von 3 Monaten wird bis Mitte August das Brutgeschäft abgewickelt, bevor der Rückweg über einen Bogen in östlicher Richtung wieder angetreten wird. Nachdem das Männchen im Mai das Revier bezogen hat, das verbissen gegen Rivalen verteidigt wird, wirbt es um ein Weibchen. Dazu gehört auch ein leise schwätzend vorgetragener Balzgesang, der zahlreiche Imitationen anderer Vögel enthält.

Im undurchdringlichen Dickicht einer Dornhecke baut das Männchen das Nest, ein massives, napfförmiges Gebilde, das innen mit Moos ausgepolstert ist. Die 4-6 grünlich und rahmweiß gefärbten Eier mit dunkleren Flecken an einem Ende werden vom Weibchen etwas mehr als 2 Wochen bebrütet. Rund 2 ½ Wochen dauert die Nestlingszeit der Jungen bis zum Ausfliegen. Danach werden sie von den Eltern noch rund 3 Wochen geführt bis sie selbständig sind.

Die Zeit nach dem Ausfliegen, in der die Jungen von den Eltern noch betreut werden, ist länger als bei anderen Singvögeln. Dies hängt offenbar mit der speziellen Weise der Nahrungsaufnahme zusammen. "Dorndreher" ist ein weiterer Name des Rotrückenwürgers und beschreibt treffend sein Gebaren beim Nahrungserwerb. Die Beute, größere Insekten wie Grashüpfer, Käfer aber auch kleine Eidechsen oder andere Wirbeltiere, werden auf Dornen aufgespießt oder in Astgabeln gezwängt. Dadurch können sie besser zerteilt werden und sie dienen auch als Nahrungsvorrat, wenn z.B. zu Zeiten schlechter Witterung das Angebot spärlicher ist. Das Aufspießen erfordert eine gewisse Technik, die sich die Jungen erst aneignen müssen.

Brehm berichtete noch vor etwa 130 Jahren vom "Dorndreher" als einem "dreisten, mutigen und unruhigem Vogel, der unter der gefiederten Sängerschaft unserer Gärten und Gebüsche gar in verderblichster Weise haust". Nun, wenn der Rotrückenwürger als zwergenhafter Greifvogel, wie er durch seinen hakenartigen Schnabel auch charakterisiert wird, zwar ab und zu einen noch nackten Jungvogel erbeuten mag, so ist er über die Jahre doch auf der Verliererseite geblieben. Er steht mittlerweile auf der Roten Liste und ist in vielen Gegenden ganz verschwunden.

Die Gründe liegen in der Veränderung seiner Lebensräume. Dornenhecken gibt es immer weniger in unserer Landschaft, reichgegliederte Fluren mit viel Buschwerk wurden über Jahrzehnte hinweg in großräumige Landwirtschaftsflächen verwandelt. Mit der Biotopsveränderung geht auch eine Veränderung der Tier- und Insektenwelt einher. Der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden bewirkt ein übriges. Gefahren bedrohen den Rotrückenwürger aber nicht nur bei uns in seinen Brut-revieren, sondern auch auf dem langen Weg ins Winterquartier. So ist vom "Schrecken der Singvögel" zu Brehms Zeiten nicht mehr als ein vielerorts bedrohter Vogel geblieben, der selbst um seine Existenz kämpft. Hoffen wir, daß es langfristig gelingt, ihm diese durch Bewahrung seiner Lebensräume zu sichern.



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